Brief von Adolf Frankl an seine Familie, 1944

Er schrieb ihn im slowakischen Sammel- und Konzentrationslager in Sereď. Unter Lebensgefahr schmuggelte die treue Angestellte, Frau Gizela (Gizi) Somogyi, dieses Schreiben aus dem Lager und übergab es seiner Frau Renée, die sich in Bratislava im Bunker (Versteck) befand.

Der Brief ist in Originalfassung. Zum besseren Verstehen wurden einige Sätze sinngemäß verändert und Erklärungen in Klammern gesetzt.

Sereď, 12. Oktober 1944
Meine teuerste Reninko, Tomile, Erika, liebster Vater, Eltern, Jancsi, Arpi, Steffy, Lajos und alle Lieben!

Morgen sind es nahezu zwei Wochen, dass mich das grausame Schicksal euch entrissen hat. Das einzige was mir die Kraft gab und auch mich weiter anspornt ist der Gedanke an meine treue Frau und die Kinder.

Nach einer langen Fahrt sind wir hier angekommen. Das Hiersein ist, wenn man arbeitet zu ertragen, denn es sind sehr viele Bekannte hier. Die Kost ist gut. In der Früh Kaffee mit Brot, mittags Gulasch oder Suppe, abends detto. Außerdem können wir Zigaretten, Salami, Obst etc. kaufen. Oft essen wir auch gebratene Kartoffeln.

Die erste große Enttäuschung war, dass am Tage der Ankunft die Deportation, der von auswärts gekommenen, begann. Daran habe ich nicht einmal im Traum gedacht. Zsiga* war hier und die Bekannten aus Mariatal* kamen heute an.

Da du zum Glück Arierin** bist, bin ich glücklich zu den Mischehen gekommen und habe schon drei Transporte ohne mich abfahren gesehen. Brauche dringend die Decke, die du sandtest und hoffe selbe morgen zu erhalten. Ich bin in der Tischlerei tätig, die „Gelbe-Mischehelegitimation“ habe ich auch nicht hier, vielleicht könntest du sie mir senden? Oder den Trauschein.

Bin überglücklich, dass du in Ordnung lebst mit den teuren Kindern und bitte mir einige Zeilen zu senden, damit ich deine Schrift sehe. Gebe sehr, sehr acht auf dich und auf deine Gesundheit. Ich bin gesund gottlob und hoffe, das auch weiter zu sein.

Die andere große Enttäuschung ist, dass seitens der Firma, unseres Ariseurs (der ein nicht jüdischer Bürger sein musste) nichts geschieht. Die Leute wissen scheinbar nicht den Ernst der Lage. Habe zwei Flanellpyjamas, zwei Hemden, eine Hose bekommen und auch verschiedene Kleinigkeiten erhalten. Statt Decke habe eine Stoffbettdecke.

Mein Mantel wurde leider gestohlen. Was macht Bedrich? (unser Adoptivkind)

Das Fräulein Magda (Tochter unseres Ariseurs Anton Cseh) soll telegrafisch die Angelegenheit beschleunigen, denn es geht um Alles! Man sagt, dass die Transporte nach Wien gehen? Geld habe ich noch etwas, aber das ist hier nicht wichtig.

Liebe Reninko, ich hoffe dass wir hierbleiben. Sollten wir doch wegkommen, so werden wir es, als Mischehen** bestimmt besser haben als die anderen. In den ersten Tagen habe ich an Durchfall laboriert, aber jetzt bin ich schon in Ordnung und esse mit sehr viel Appetit.




13. Oktober
Das Allerwichtigste wäre wenn die große Verbindung*** intervenieren könnte, um auf irgendeine oder andere Art von hier raus zu kommen. Ich bitte dich aber strengstens, gebe Acht auf dich, denn um keinen Preis will ich, dass du „cholile“, (G’tt behüte) mich besuchen würdest.

Die Tage vergehen rasch. Heute arbeite ich in der Tapeziererei bei Schönfeld. Wir sind sehr oft auch lustig da einige gelungene Kerle hier sind. Leider ist es zwecklos und ich habe es mir auch schon abgewöhnt, mir Vorwürfe zu machen, dass ich den Fehler machte, mit der alten Verbindung sicher zu rechnen.

Heute sind wir in eine gute und trockene Baracke übersiedelt, habe mich rasieren und Haare schneiden lassen. Meine Wäsche wird in der Wäscherei regelmäßig gewaschen. Du musst dir diesbezüglich keine Sorgen machen.

Heute war sehr gutes Mittagmahl, „Dampfbuchteln“. Durch die „Laf“ anstrengende Arbeit, (soll zu verstehen geben, dass die Arbeit dort damals nicht anstrengend war), habe ich großen Appetit. Esse viel Obst, trinke wenig Wasser, da es nicht gut ist, sondern Tee, Kaffee oder Mineralwasser aus Zobor in der Slowakei.

Gestern haben wir in der Tischlerei Betten auf einen Wagen aufgeladen und die Pferde sind scheu geworden, sie fuhren mit mir ohne Kutsche, in rasendem Tempo zwischen den Barracken bis zum Tor, welches aber gesperrt war.

Die Kameradschaft ist groß, alles wird zwischen uns geteilt. Rabbiner Goldstein und Sohn kamen an. Frau und Kind sind schon vorgereist mit dem vorherigen Transport. An das Geschäft habe ich einige Male geschrieben, ohne Antwort und Resultat.




14. Oktober Familie Hugo, Dudi, Martha* (sind) alleine angekommen. Decke erhalten.




15. Oktober
Omama* (ist) angekommen. Morgen wird (es) ein schwieriger Tag sein. Ich habe selbstverständlich riesige Sehnsucht nach euch aber wir müssen leiden denn ich war unvorbereitet und habe nicht im Traum mit dieser Tragödie gerechnet. In diesem großen Kampf sind wir nur Stecknadeln und ohnmächtig unserem Schicksal ausgeliefert. Auch Gajduschek und Frau habe ich heute gesprochen. Da morgen ernste Stunden sein werden muss ich, Liebste, von euch, mit schweren Herzen, Abschied nehmen, obzwar ich bestimmt hoffe hier bleiben zu können. Wir sind noch jung und ich hoffe bestimmt auf ein Wiedersehen, denn der Krieg wird nicht mehr lange dauern.

Grüße, küsse euch tausendmal und mein armes Herz blutet vor Schmerzen aber ich bin trotzallem glücklich, dass ihr Ruhe**** habet.

Meine geliebten Kinder, entschuldigt mir meinen Fehler den ich beging und durch den ich euch verlassen muss. Seid ruhig und betet zum lieben G’tt für euren Vater der immer nur an euch denkt und an die liebe Mutter.




16-19. Oktober Bin hier geblieben, hoffe, dass der liebe G’tt mich erhören wird und ich euch doch noch sehen werde. Mit Grüße und Küsse an alle.
(Unterschrift ist unleserlich)




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Erklärung von Thomas Frankl: Vater erzählte uns nach seiner Rückkehr, dass er mit Absicht positiv über die Inhaftierung im Lager schrieb. Dies begründete er damit, dass falls bei Gizi beim Verlassen des Lagers das Schreiben gefunden werden würde, ihr und Vater keine Unannehmlichkeiten entstehen. Frau Somogyi wurde beim Verlassen des Lagers glücklicherweise nicht durchsucht und so konnte sie den Brief unserer Mutter in ihrem Versteck (Bunker) übergeben.

* Es waren Mitglieder der Familie Rosenberger, Mutters Verwandte.

** Als wir verhaftet wurden mussten wir zum Güterbahnhof marschieren. Dort log Mutter den SS-Kommandanten Alois Brunner an, dass Vater kein Jude sei und sie ihn abholen käme. Daraufhin sagte Brunner: „Wenn er keiner war, dann waren es sicherlich seine Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern.“ Er befahl zwei Soldaten, Vater zur Baracke zu führen und ihn in den Waggon nach Sereď zu stecken. Danach kam Brunner zu Mutter zurück und fragte sie was sie hier noch mache. Sie antwortete, dass sie und ihre Kinder auch Arier seien. Aufgrund ihrer Behauptung rief er zwei Wachposten zu sich und befahl ihnen, uns aus dem Bahnhof raus zu führen. Im Konzentrationslager in Sereď gab sich Vater als Mischehepartner aus. Erst Anfang November 1944 flog Vaters Notlüge, dass Mutter keine Jüdin ist, auf. Aus diesem Grund wurde Vater nach Auschwitz-Birkenau deportiert.

*** Magda Cseh war die Freundin des Deutschen Dieter Wisliceny, Beauftragter und Berater für jüdische Angelegenheiten in der Slowakei.

**** Beim Besuch in Sereď, erzählte Frau Somogyi unserem Vater, dass seine Frau und ihre Kinder in verschiedenen Bunkern in Bratislava versteckt sind und nicht deportiert wurden.