Mein letzter Wille

Ich schreibe es am 3. Sept. 1944 und der innige Wunsch meiner Seele durchdringt meine Gedanken, damit der seit Jahren leidenden Menschheit endlich Friede gewährt wird.

Das Kind soll wieder im gewohnten Rahmen seiner Familie, die Frau mit ihrem Angetrauten, Geschwister mit Geschwistern, und alle in gesicherter Existenz leben. Keine verfolgte, ausgebeutete Seele soll es auf Erden geben und alle mögen auf G’ttes Wegen in Liebe und gegenseitiger Achtung glücklich sein. Der schlimmste Schicksalsschlag hat uns heute getroffen und meine Gedanken kreisen 1903 - 1983 in dieser ernsten Stunde um meine Sünden, meine guten Taten, meine Familie und Freunde.

Obwohl wir im Gigantenkampf der Nationen nur Sandkörner sind, ist doch jede Veränderung unseres Lebensraumes von großer Bedeutung und Tragweite. Die große Gefahr, in der ich mich mit Vielen befinde, zwingt mich zum Niederschreiben dieser Zeilen und der Barmherzige möge die finsteren Wolken vertreiben und den Kampf um mein Leben und meine Familie erneut ermöglichen.

Ich bin nicht frei von menschlichen Schwächen und Sünden, trotzdem glaube ich, dass ich keine Feinde habe und in den 41 Jahren gerecht zu den Menschen gewesen bin. Ich habe niemanden betrogen, nicht gestohlen und auch sonst niemandem Schaden zugefügt. Über meine guten Taten schweige ich.

Vielleicht hat meine geliebte Lebenspartnerin Renée während unseres gemeinsamen Lebens viel leiden müssen, aber wenn ich sah, wie sie sich wegen Kleinigkeiten förmlich aufrieb, habe ich sie oft ungerecht beschimpft. Zu meiner Entschuldigung sei gesagt, dass ich sie sehr liebe und diese Liebe zeigte sich in meiner Ungeduld.

Erinnerst du dich Renée an unsere erste Begegnung und ersten Kuss? Von welch großem Glück und Hoffnung waren wir erfüllt. Große Pläne haben wir geschmiedet und G’tt schenkte uns die Frucht unserer Liebe. G’tt behüte, uns würde der Sturm trennen, mein letzter Gedanke wärst nur du, meine einzige, geliebte Frau.

Das Geschäft, die zwei Lebensversicherungen, einige Briefmarken und meine Werkzeuge vermache ich dir. Meinen Hausanteil vermache ich den Kindern.

Erziehe meine geliebte Tochter Erika zur Nächstenliebe. Sie soll die Menschen gleich behandeln. Sie soll für ihre Selbstständigkeit einen Beruf erlernen. Nächstenliebe, Hilfe und Unterstützung Armen und Kranken gegenüber, die Liebe zu den Eltern und Geschwistern ist unser größter Verdienst und Pflicht. Sie soll nicht zu stolz sein und ihr gutes Herz bewahren, so wie bis jetzt.

Merke Dir gut Erika, dass dein Vater ein Leben lang an deiner Seite bleiben wird, auch wenn du es nicht immer sehen wirst werde ich immer bei dir sein, vielleicht in einem Windhauch, in der Stimme eines Bettlers, in den Strahlen eines Sterns, vielleicht in einem schönen Gemälde, dein glückliches Leben lang. Sei fröhlich und lerne viel, achte deine Mutter und verspreche, dass du meinetwegen nicht weinen wirst, denke an G’tt, dessen Handlungen gut und wohlüberlegt sind.

Mein geliebter Tomi (Tomikám), du sollst das Leben ernsthafter nehmen. Lerne fleißig, der junge Mensch lernt leichter. Lerne ein Handwerk und Sprachen. Sei gerecht und menschenfreundlich. Achte deine Eltern und habe vor niemandem, außer vor G’tt Angst, der dich gewiss glücklich machen wird. Überlege was du sagst und löse deine Versprechen verlässlich ein. Liebe die Natur, lerne mit Erika Musik und denke immer daran, dass ich und deine Mutter dich sehr lieben. Später sollst du Sport betreiben, rauche nicht, lebe ohne Alkohol und sei enthaltsam. Knüpfe keine flüchtigen Bekanntschaften und werde ein wertvoller, ernsthafter Mann. Setzte deinen Willen durch, zögere nicht wenn dein Entschluss feststeht. Ich werde immer bei dir sein mein geliebter Tomi (édes Tomikám) und egal wo du bist, ich werde dich ewig begleiten. Wenn du gute Taten vollbracht hast werde ich dich streicheln, denn das Leben endet nicht, wir werden nur unsichtbar. Ich werde in deinen Träumen erscheinen und dein struppiges Haar küssen.

Dir Reninko wünsche ich, dass unsere Kinder dich glücklich machen. Sollten wir uns nicht mehr sehen, so finde einen ehrlichen Herrn, der dich auf deinem weiteren Lebensweg begleitet und glücklich macht. Ich werde dich ewig lieben, denn du warst gut und bist immer eine Dame geblieben. Ich küsse deine Lippen und Hände aus der Ferne und bin von einem Glücksgefühl erfüllt in der Erinnerung unserer Liebe.

Ich küsse euch unzählige Male, meine geliebte Familie, und du Reninko sei glücklich, denn meine Wünsche kommen aus dem Herzen.

Unserem Adoptivsohn wünsche ich, dass er seine Eltern wieder findet, wenn nicht, möge er bei dir bleiben und liebe ihn wie unsere eigenen Kinder. Sei Tapfer und ein stolzer Mann, lieber Benö (Beni), das Leben wird Dich bestimmt für das viele Leid entschädigen, das Du bisher hattest. Lerne fleißig und lebe besonnen. Liebe die Menschen und ich werde immer an Dich denken.

Ich grüße meinen Vater, meine Schwiegereltern, meine Schwester Steffi, meine Brüder Alex, Ignátz, Leo, meine Schwäger Lajos, Jancsi und Arpi, die Ursulinerin Mater Bernarda, Gregoria und alle Bekannte und Freunde, Lipi und ihre Eltern, die Familien Berliner und Diamant und die Köchin Fáni. Ich denke mit Liebe an Alle.

Ich danke Herrn Cseh, unseren Ariseur und seiner Familie für alles was sie für mich getan haben und ich bitte sie, dass sie an meine Familie denken und ihnen helfen, was sie sicher ohnehin tun.

Seid glücklich meine Geliebten und G’tt sei mit euch.



Übersetzung aus dem Ungarischen von Prof. Laszlo Németh

Von Thomas Frankl: Vater schrieb seinen letzten Willen im Konzentrationslager in Sereď am 30. September, nicht wie am Original irrtümlich am 3. September vermerkt. Das Schreiben wurde, wahrscheinlich durch unsere treue Angestellte, Frau Gizela Somogyi, die ihn im Lager aufsuchte und ihn durch Bestechung aus dem Lager befreien wollte, herausgeschmuggelt. Danach übergab sie es an seine Frau Renée Frankl. Ich fügte noch die Namen Steffi, Ignátz, Alex, Leo sowie deren Verwandtschaftsgrade, und die Ursulinerin Mater Gregoria, hinzu.