Worte von Prof. Dr. Dieter Ronte
Worte von Prof. Dr. Dieter Ronte, Kunsthistoriker, Direktor des Kunstmuseums Bonn, anlässlich der Eröffnung am 24. Oktober 2006 der Galerie ArtForum am Judenplatz 2 in Wien, mit Gemälden und Zeichnungen von Adolf Frankl „Visionen aus dem Inferno – Kunst gegen das Vergessen“

Erlauben sie mir, dass ich in etwa fünf Minuten versuche, den Künstler Frankl kunsthistorisch einzukreisen. Es fällt auf, dass in den Texten über den Künstler eigentlich nie von der Kunst selbst gesprochen wird, sondern immer nur über die Inhalte. Diese Kunst, das haben wir auch heute gehört, wird von der Biographie des Malers diktiert.

Herrn Thomas Frankl möchte ich Dank sagen für die Eröffnung heute und für dieses engagierte Zentrum.

Es ist wichtig. Denn es sind Bilder dabei, die unbedingt in die Öffentlichkeit gehören und ich versuche das zu begründen, weil darin auch die Qualität dieser Arbeiten wurzelt. Wenn wir an das vereinigte Europa denken und an das, was sie aus den Geschichtsbüchern gelernt haben, dann werden wir feststellen, dass all dieses mit Einheit wenig zu tun hat. Aber wenn wir an die Kunst Europas denken, dann wissen wir, das ist der Laokoon, das Pantheon, die Mona Lisa, die Sixtinische Kapelle usw., ist Piranesi, El Greco, van Gogh, Picasso usw. Jetzt wächst plötzlich eine ganze Region zusammen, die nur, weil sie diese kulturellen Taten hervorgebracht hat, eigentlich als europäische Einheit zu verstehen ist. Nicht die Kriege, die wir untereinander geführt haben, sondern die Kunst ist der Ausdruck unserer Identität. Wenn Europa eine politische Identität bekommen soll, dann kann es nur über die Kultur gehen und wahrscheinlich nicht über die Politik. Dieses Art Forum ist Teil dieser Identitätsfindung, weil es Vergangenheit aufarbeitet. Deswegen sind diese Bilder heute so wichtig.

Wir haben schon gehört, dass Frankl nicht Autodidakt ist, dass er eine bildende Hochschule absolviert hat, da er eigentlich Künstler werden wollte, bevor er in das elterliche Geschäft eingetreten ist. Das heißt, wir haben es nicht mit naiver Malerei zu tun, sondern mit einem Künstler, der sehr bewusst und sehr genau das so formuliert hat, wie er es uns hinterlassen hat. Er steht natürlich in einer großen Tradition. Da sind die Nachtbilder von Magnasco. Ich erinnere an die Carceri von Piranesi. Ich erinnere an die privaten Bilder von Goya, auch er Augenzeuge von schrecklichen Geschehen, die er dann radiert hat. Ich erinnere aber auch an die österreichische Szene aus der Frankl eigentlich nicht wegzudenken ist.

Ich glaube, dass Frankl ein zutiefst österreichischer Maler ist und ich versuche das zu erläutern. Es gibt Bilder, die erinnern an Hans Fronius. Es gibt Bilder, die erinnern an Adolf Frohner, es gibt Bilder, die erinnern an Schiele. Auch Schönberg hat diese Visionen, diese inneren Gesichte gemalt. Das heißt, dass eine Szene, Boeckl könnte man auch hinzuziehen, gewachsen ist, in der Kunst nicht als eine analytische Vorgehensweise gesehen wird. Deswegen gibt es praktisch keine abstrakte Kunst in Österreich, sehr wenig, immer nur Ansätze, die wieder verlassen wurden. Es gibt keine konstruktive geometrische Kunst. Es gibt keine Kunst, die rational erdacht wird, um die Welt neu zu ordnen. Die Kunst ist, wie ich das gerne bezeichne, als Agens eine ästhetische Parallelaktion zur Wirklichkeit, dort wo man seine Visionen, das Wort von Frankl, einsetzen kann. Es gibt diese Tradition besonders hier im Österreichischen. Ich darf nochmals etwas vorlesen, das Frankl gesagt hat, nämlich die Stellen, in denen er sich selbst als Künstler kunsthistorisch betrachtet. "Auf einer Leinwand verteile ich ohne Plan und ohne irgendwelche Vorbilder, die Farben mit einer Spachtel, dem Finger und dem Pinsel. Ich bin in die Arbeit so vertieft, dass ich Gesicht, Haare, Kleider und Schuhe mit Farbe bekleckse und manchmal stecke ich aus Versehen den Pinsel in den Mund." Das ist also der Maler, der sich in der Malaktion völlig verliert. "In einer Wutfreude schaffe ich Farbflecke, die meistens unbewusst eine Harmonie oder das Gegenteil bilden. Nach einigen Stunden muss ich mich hinlegen, denn ich bin wie zerschlagen. Ich schlafe ein wenig, danach rauche ich eine Zigarette und denke an das Vergangene, an die Jugend, an die Frauen und auch an die schrecklichen Bilder des Lagers." Ich überspringe jetzt. Am Abend, wenn alle schlafen, geht er wieder an die Leinwand und versucht diese Abstraktion, die er gemalt hat, thematisch in eine Bindung zu bringen. Sehr interessant war auch der Text, den wir vorhin gehört haben, dass er sie teilweise durch einen Spiegel ansieht.

Mit diesem dialektischen Pendel zwischen Abstraktion und Realismus sind wir genau dort, wo eigentliche Qualitäten liegen. Das heißt, die Bilder werden zunächst intentionslos abstrakt gemalt. Das können wir auf allen Bildern hier einsehen. Ein besonders schönes Beispiel ist ein Blumenteppich, der dann einen Gefallenen im Stacheldraht zeigt, wobei Frankl wieder Mantegna zitiert; den Christo scorto.

Es finden sich weitere Zitate, mit denen Frankl kunsthistorisch arbeitet. Er pendelt zwischen diesen Abstraktionen und seinem biografischen Realismus. Er nimmt ein Problem auf, das Jackson Pollock kannte, der sagte: "Man darf auch in seinen abstrakten Bildern Gesichter sehen." Aber Frankl forciert natürlich aufgrund seiner Erfahrungen. Die Bilder sind dann natürlich authentisch, weil sie Augenzeugenberichte und wirklich Erlebtes sind. Frankl ist nicht der einzige Künstler, der Erlebtes zeitverschoben später malt. Die meisten Bilder sind aus den 60er/70er Jahren, aber von großer Intensität.

Es sind primär Figurenbilder, keine Landschaftsbilder, keine Städtebilder. Es gibt Erinnerungen an Preßburg, wo die Stadt gezeichnet wird, zu der Personen kommen. Es gibt die Klagemauer, ein fast abstraktes Landschaftsbild und trotzdem tauchen im Hintergrund sofort wieder die Gesichter auf, die dieses Bild in das andere umformulieren. Frankl ist ein Künstler, der in dieser Tradition steht, in dieser Dialektik, bei der der Künstler sich entscheiden muss, ob er abstrakt bleibt oder realistisch weiterarbeitet. So gibt es Bilder, die geometrisch vorgehen, in denen Frankl mit den Linien der hebräischen Buchstaben arbeitet und sein Leben erzählt.

Andere Bilder sind konstruktiver. Weitere Bilder arbeiten sehr stark aus dem Dunklen heraus. Da gibt es sehr, sehr heitere Bilder, mit ganz, ganz schrecklichen inhaltlichen Überlagerungen. Frankl hat im Film gesagt: "Dieses Pendeln zwischen der Lust an der Malerei, Wutfreude, das war sein Begriff, und dem Besetzen durch schreckliche Themen, die später erst hinzukommen, um sich von diesen Visionen selbst zu befreien. Also eine Malerei als Projektion. Es ist wahrscheinlich auch dieser Wiener Charakter zur Kunst hin, den ein großer Archäologe Alois Riegl, in der Zeit von Sigmund Freud, als man begann mit der Psychoanalyse zu arbeiten, den Weg so beschrieben hat, dass der Künstler von der Theologie zur Teleologie kommt. Das hat er anhand der römischen Kunstindustrie in der pannonischen Tiefebene beschrieben. Es kommt darauf an, dass wir in einer Zeit, wo es die objektiven Auftragsbilder nicht mehr gibt, mehr darauf achten, dass es die subjektiven Äußerungen des Künstlers als persönliche Eigenarten eines Kunstwollens wichtig sind. Den Begriff formuliert der Einzelne. Vielleicht können wir Frankl noch anders einordnen, wenn wir fragen: "Was hat er eigentlich nicht gemacht?" Er hat zum Beispiel keine Perspektive. Er hat keinen schönheitlichen Kanon, obwohl er Menschenmaler ist. Wenn man das erlebt hat, diese Zusammenbrüche, braucht man keinen Schönheitskanon mehr. Aber er hätte ja auch sagen können "ich versuche die Welt im Rückblick anders zu ordnen und über sie zu berichten. Da gäbe es zum Beispiel den psychologisierenden Weg der Wiener Schule des Phantastischen Realismus, die in derselben Zeit hier wirkt, um in eigenwilligen Ikonographie erkennbar zu bleiben. Frankl hätte, um psychologische Situationen auszudrücken auch mit Geometrien arbeiten können, mit Proportionen, die einfach eine neue Lebensfreude im Sinne einer aufzubauenden Ordnung darstellen. Das hat er nicht gemacht. Er geht diesen expressiven Weg.

Wenn man diese Arbeiten von italienischer Seite mal sehen würde, dann könnte man sagen, was Frankl macht, nennen die Italiener im sprachlichen Slang Nordismo. Frankl arbeitet gern mit überlängten Figuren, er arbeitet gerne mit einem starken Kontrast, mit wilder Malerei. Es ist interessant, dass im Umkreis von Lucio Fontana und auch bei Lucio Fontana selbst, der das "Manifesto Blanco" geschrieben hat, eine große Liebeserklärung zur Abstraktion, solche Arbeiten auch vorkommen. Z.B. bei Agenore Fabbri, wo gleiche Themen als Erfahrung aufgezeigt werden. Es wird deutlich, dass es nicht mehr darum geht, eine einheitliche Stilfrage, eine einheitliche Handschrift zu formulieren, sondern die Hand laufen zu lassen, die Gedanken in die Hand umzusetzen, die diese freispielt. Es gibt ein aktuelles Beispiel zur Zeit, in Wien, in der BAWAG Foundation. Die Arbeiten von Asger Jorn reflektieren die Überlegungen der Cobra-Gruppe, die sich gegen den Faschismus als linksgerichtete Gruppe in Kopenhagen, Brüssel, Amsterdam gegen die Nazis gegründet hat. Es gibt einen Zyklus, den Jorn 1960 radiert hat.

Er heißt 'Occupations' und beschäftigt sich mit der Okkupation durch die Nazis in Dänemark, in Kopenhagen, wo Jorn als junger Mann sehr gelitten hat. Hier finden wir ähnliche Formulierungen, die genau dieses Umbrechen zwischen Dunkelheit, Vision und Geometrie, geometrisierenden Formen als Ausbruch und dem Versuch einer Hoffnung als Ordnung zeigen. Wenn man die Tausenden von Zeichnungen von Frankl durchgeht, würde man immer wieder diese expressive Sprache finden. Aber man würde auch feststellen, dass Frankl sehr gut porträtiert hat und sehr schnell Situationen und deren Gesichter erfassen konnte. Zeichnungen entstehen, die zum Teil Vorzeichnungen für Bilder geworden sind. Immer wieder gelingt der Versuch, das Eigene anders auszudrücken.

Das ist in unserem Jahrhundert – und besonders im letzten – mehr als legitim, weil der Künstler sehr persönlich argumentiert. Das ist das Wesentliche als eine Aufgabe. Er kann als Augenzeuge über diese Dinge berichten. Er ist von einer Authentizität, die ein Foto zum Beispiel nicht schafft. Frankl ist streng genommen, ein realistischer Maler, aber er ist kein Naturalist, er macht kein Trompe-l'oeil, er sucht keine Augentäuschung. Er idealisiert auch nicht. Realismus ist für ihn der kritische Umgang mit sich selbst. Deshalb hat er uns so viel zu sagen. Deshalb gilt es hier seit heute einen großen österreichischen Maler zu entdecken. Für diese Erfahrung sage ich herzlichen Dank.